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Teil 1: Zeitwende

Teil 2: Das schwer durchschaubare Spiel der Musik mit der Zeit


 

"Zeitwende"

Das Wort des Jahres?

Da hört man vom Bundeskanzler kurz nach dem 24. Februar 2022, dass dies eine Zeitenwende in der Geschichte Europas markiert und die Gesellschaft für deutsche Sprache ernennt diesen Begriff nun auch zum Wort des Jahres.

 

Was wendet sich bei der sogenannten "Zeitenwende" eigentlich?

Welche Rolle spielt bei diesem Richtungswechsel eigentlich die Zeit oder die Zeiten? Was hat die Zeit eigentlich damit zu tun?
 
Das Wort ZEIT ist kaum fassbar und bietet sich als „Füllsel“ an, das man manchmal bewusst, aber oft unbewusst einsetzt, um Dinge nicht direkt ansprechen zu müssen, um Unangenehmes zu verschleiern oder einfach abzulenken vom eigentlich Gemeinten.
                                       
Einen ganz alltägliche Verschleierung oder gar einen Missbrauch mit dem Wort ZEIT erleben wir ständig, wenn wir jemandem sagen: „Ich habe keine Zeit!“ 
Jeder von uns hat täglich 24 Stunden, und das ununterbrochen – also ist der Satz von daher schon kompletter Unsinn! Aber vor welcher Aussage wollen wir uns wohl damit drücken?
Vielleicht ist es dieser: „Mir ist gerade etwas Anderes wichtiger!“

Was also an den Zeiten wendet sich, wenn man von "Zeitenwende" spricht?

Nichts!

Was sich wendet, sind die bisher gesetzten Werte. Wir setzen neue Prioritäten!

Das sollten wir dann aber auch so benennen, z.B. als Wertewandel oder Prioritätenumkehr:

  • Russland ist nun nicht mehr Nachbar und Handelspartner sondern Aggressor und zu bekämpfender Feind.
  • Das früher verteufelte Frackinggas ist nun die rettende Alternative zum jetzt verteufelten Pipelinegas.
  • Wer bisher Frieden schaffen wollte ohne Waffen, kann den Frieden offenbar nun nur noch mit Waffen schaffen.
  • Aus Zufriedenheit im relativen Wohlstand wird nun vielfach Angst vor Armut.

Was gestern galt, gilt heute nicht mehr!
Die Werte von gestern sind nicht mehr die Werte von heute.
                   
Da wenden sich Werte, aber keine Zeiten. ZEIT ist ein so angenehm unfassbarer Begriff, dass er für alles herhalten muss, was man wohl nicht so deutlich ansprechen möchte.

 

"Zeitenwende"?

Warum nicht "Wendezeit"?

In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, warum man derzeit eigentlich von „Zeitenwende“ spricht und nicht von „Wendezeit“?
Nach dem Ende der DDR sprach man von Wendezeit. Sie zeichnet sich aus darin, dass hier auch der Übergang von einem bestimmten Zustand zu einem nächsten beschrieben wird, allerdings als langfristiger Prozess – man wusste, es braucht Zeit.
 
Wenn von Zeitenwende gesprochen wird, dann fokussiert man sich wie nach einer Naturkatastrophe auf eine abrupte und sofortige Veränderungsnotwendigkeit. Der Begriff Zeitenwende suggeriert, dass sich etwas so massiv geändert hat, dass man sofort neue Strukturen schaffen muss, man also keine Zeit für eine organisch gewachsene Wende hat.

Dass dabei die Gefahr aktionistischer Schnellschüsse ohne Effizienz steigt, ist in der Regel bekannt, wird aber "aus Zeitgründen" meist hingenommen und nicht selten später entschuldigt.

Skulptur, entstanden in der "Wendezeit" in Jena

 

 

"Zeitenwende"?

Kennen wir doch schon!

Hat ein Wertewandel, die sogenannte Zeitenwende, nicht schon vor zwei Jahren begonnen?
 
Hatte man sich damals nicht auch schon entschieden, dass man dem Angriff eines Virus nur widerstehen kann, wenn man sich vom bisher Selbstverständlichen verabschiedet?
Noch nie in unserer Lebenszeit musste sich der Mensch so radikal in seinem Umgang mit Zeit neu orientieren, kam es zu solch plötzlichen Entschleunigungen in vielen Bereichen mit Beschleunigungen in anderen Bereichen.


Bruch der Uhr-ZEIT    Objekt: Zeljko Rusic

 

  • Während man dem Einzelnen bisher die Entscheidung überließ, wie er mit seiner Zeit bei der Bewältigung einer Krankheit umgeht, legte nun der Staat fest, wann man aus dem Haus gehen durfte und wann man ein bestimmtes Medikament einzunehmen habe.
  • Während bisher die Präsenz in der Schule selbstverständliche Grundlage der sogenannten "Schulzeit" war, wurde die Lernzeit nun als "Homeschooling"  an den heimischen Küchentisch verlagert.
  • Während es bisher selbstverständlich war, dass der Arbeitgeber Arbeitsplätze zur Verfügung stellte, wurde nun der Computerarbeitsplatz daheim zum "Homeoffice".
  • Statt der zeitaufwändigen Einkäufe im Laden vor Ort boomte der zeitsparende Online-Einkauf.
  • Während sich bisher Erwachsene wie Kinder zu gesellschaftlichen Treffen zusammenfanden (Café, Theater, Museum, Spielplatz, Feiern etc.) war nun der Abstand, der Verzicht auf diese Treffen das Wichtigste und die Folgen erst einmal nebensächlich.
  • Während der Genuss von Kunst und Kultur bisher als für den Menschen lebensnotwendige Zeiten hochgehalten wurden, wurden sie nun zu privaten und verzichtbaren Freizeitbeschäftigungen erklärt.
  • Während bisher Entwicklungen von Impfstoffen mindestens 10 Jahre dauerte, reichte nun plötzlich eine Entwicklungszeit von 10 Monaten aus.

Auch damals galt: Nicht die Zeiten haben sich gewendet, sondern die vom Menschen gesetzten Werte!

 

Zeitkultur

ist

Zeitsouveränität

Der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg meinte einmal, die Realität zwinge als Widerstand zu Umwegen, also zu Kultur. Angesichts der Banalität der öffentlichen Diskussion werde das verdrängte Denken zum Widerstand gegen den Zeitgeist.

Derzeit aber scheint es kaum Umwege und Bedenkzeiten mehr zu geben – vieles ist oft nur noch alternativlos – und da passt Vielen der Begriff „Zeitenwende“ hervorragend, impliziert er doch, dass angesichts einer so beschriebenen „Naturkatastrophe“ nur noch die ganz anderen Werte gelten dürfen.

Eine gesunde Zeit-Kultur entsteht nicht durch aktionistische Schnellschüsse, durch ängstliche Abkehr vom Bewährten oder indem man „mit der Zeit geht“, sondern durch wohl überlegte, bewusste und langfristig abgesicherte Entscheidungen. Manchmal kann es sinnvoll sein, nicht auf den alten Schienen weiterzulaufen und auf eine Weiche zu hoffen, sondern einfach mal auf die Seite zu treten. Ein kultivierter Umgang mit der Zeit - das ist Zeitkultur!

Wer seinen Möglichkeitssinn noch nicht ganz abgeschaltet hat, wird Lust haben, selbst zu denken, neu zu denken, vor- und nicht nur nach-zudenken – das aber klappt auch nur, wenn man sich ab und zu den Luxus der Muße gönnt.

Schon der 1799 gestorbene Naturforscher Georg Christoph Lichtenberg brachte es auf den Punkt:
„Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“

Hier ein bewährtes Rezept eines unbekannten Weisen:
„Nimm dir jeden Tag eine halbe Stunde zum Innehalten und Meditieren, außer wenn du besonders viel zu tun hast -
dann nimm dir dafür eine ganze Stunde.“

 
An Muße, an Umwege und an Bedenk-Zeiten, an Zeitkultur möchten wir mit den gelegentlichen Gedanken im Timeletter (ZEITKULTUR-Brief) erinnern.

 

Die "Gesellschaft für Zeitkultur"

Als Abonnent des Timeletters darf man sich, wenn man will, als Mitglied in der „GESELLSCHAFT FÜR ZEITKULTUR“ fühlen.

Die GESELLSCHAFT FÜR ZEITKULTUR“ ist bewusst kein Verein, es gibt keine formelle Mitgliedschaft, sondern es ist einfach ein virtueller Ausweis, mit dem man sich ganz persönlich für sich selbst, vielleicht aber auch irgendwann einmal im Kontakt mit Anderen gegen Zeitstress und unangemessener Beschleunigung wehren kann.

Als Mitglied in der GESELLSCHAFT FÜR ZEITKULTUR bemüht man sich, wo immer möglich, innezuhalten, zeitökologisch nach- und vorzudenken und sich zu sensibilisieren, wenn blinder Aktionismus und partikulares Interesse Schnellschüsse und Scheinlösungen produziert.

Die GESELLSCHAFT FÜR ZEITKULTUR ist völlig unabhängig und neutral - sie tritt lediglich auf der Webseite www.zeitkultur.com und im ZEITKULTUR-Brief für einen angemessenen Umgang mit der Zeit ein. 


Zur Homepage www.zeitkultur.com

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